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IX - Magazin für professionelle Informationstechnik


Mai 2001
 

Big Brother im Internet - WG am Draht

Über die kulturellen Implikationen der Endemolschen Big-Brother-Serie mag man streiten. Unbestritten ist aber die technische Aktivität des dabei realisierten Internet-Streaming.

von Dieter Michel

IX Magazin
Ob es nun den Niedergang der deutschen Fernsehkultur bedeutet, dass Millionen von Zuschauern mit Interesse das Leben einer eher durchschnittlichen WG am Bildschirm beobachten, sei einmal dahingestellt. Auch dass eine Gruppe von Menschen für die Aussicht auf Popularität und ein Preisgeld freiwillig vorübergehend auf einen Großteil ihrer Privatsphäre verzichtet, gibt sicherlich Anlass zu grundlegenden Diskussionen.

Auf jeden Fall aber wurde mit dem Format der niederländischen Produktionsfirma Endemol eines der weltweit größten Streaming-Projekte im Internet realisiert. Generalunternehmer für die technische Realisierung in der ersten Staffel war die Münchener Firma AME.
Deren Aufgabenstellung, so Matthias Eichler, technischer Leiter bei AME, begann im Februar 2000 mit dem Auftrag von Endemol, die erste Staffel von Big Brother im Internet umzusetzen. Ein geforderter Bestandteil war von Anfang an das Streaming, und zwar nicht nur - wie zuvor in den Niederlanden - in Form von vier vorgeschnittenen Kanälen, sondern mit zahlreichen, von den Benutzern auswählbaren Live-Videostreams.

Im Rahmen einer Machbarkeitsanalyse wurde schnell klar, dass man aufgrund der Struktur des deutschen Internet einen zweiteiligen Ansatz verfolgen musste: ein von der Deutschen Telekom (DTAG) versorgtes Teilnetz für die T-Online-Kunden und das restliche deutsche Internet mit allen anderen Providern. Die DTAG nimmt nicht am Peering (Provider-Provider-Verbindung) über den Frankfurter DE-CIX teil. Dadurch ist die Verbindungskapazität zwischen Telekom-Welt und dem restlichen deutschen Internet begrenzt, sodass eine Einspeisung der Streams in nur einen dieser beiden Teilbereiche von vornherein ausschied.

Bei den Vorgesprächen - auch mit World Online (jetzt TiscaliNet), dem Sponsor der ersten Staffel - wurde daher vereinbart, als zusätzlichen Dienstleister T-Mart einzubinden und so den T-Online-Nutzern die Möglichkeit zu geben, die Streams problemlos zu empfangen.

Um angesichts von 17 gleichzeitigen Streams und einer hohen erwarteten Anzahl von Abrufen keine Kapazitätsengpässe entstehen zu lassen, entwarf AME eine verteilte Architektur, bei der die Codierung der Bilddaten vor Ort erfolgt. Diesen Part hat AME an dem Projektpartner TV-1 abgegeben, der bereits umfangreiche Erfahrungen mit Videoeinspielungen ins Internet vorweisen konnte.

Codieren mit Linux

Für das Codieren kommen Linuxrechner zum Einsatz, und zwar mittlerweile 25 Dual-P3-Systeme mit 512 Megabyte Hauptspeicher und Videograbber-Karten von Typ Winnov Videum. Von diesen lassen sich zwei Karten in einen Rechner betreiben und so mit einem System gleichzeitig zwei unabhängige, jeweils 80 KBit/s schnelle Videostreams generieren.

Da man mit dieser Eingangsstruktur bereits sehr früh auf IP aufsetzten kann, gibt es im Anschluss deutlich weniger Probleme bei der Verteilung des Video-Contents. Theoretisch wäre es sogar denkbar, ohne nennenswerte Serviceeinbußen im laufenden Betrieb die anschließende Infrastruktur zu ändern oder den Provider zu wechseln.

Die Entscheidung für das Streamingverfahren von RealNetworks fiel aus mehreren Gründen. Die Serversoftware ist für die präferierten Unix-/Linux-Systeme verfügbar, und sie beherrscht seit längerem das sogenannte SureStreaming, die Aushandlung der Übertragungsgeschwindigkeit zwischen Client und Server. So wurde RealNetworks als Partner in das Projekt eingebunden und im Real-Guide ein eigener Big-Brother-Channel eingerichtet.

Am Ort des Geschehens, in Hürth, ist auch die Splitter-Farm installiert, der die verschiedenen Videostreams der Encoder zugeleitet werden. Jeder Encoder liefert seinen Datenstrom an einen ersten Splitter, der die Daten an weitere Splitter verteilt. Als Ergebnis der Signalverteilung liegt jeder Stream an jedem Splitter zum Abruf bereit. In der ersten Staffel waren dies 17 Streams, in der zweiten elf, davon zwei für eine 360°-Kamera, in der dritten Staffel drei Streams, einer mit dem Master-Cut, zwei für die 360°-Kameras.

Von den Splittern aus gingen in der ersten Staffel die Daten über zwei 34-MBit/s-Leitung in das Telekom-Backbone verteilt Sie in die einzelnen Rechenzentren. Sinn dieser verteilten Architektur war, die Daten über kurze Wege zum Benutzer, also möglichst zu dessen POP, zu transportieren, um beim Abrufen die Netzlast klein zu halten.

Ähnlich sah die Verteilung in die Nicht-Telekom-Welt aus. Über eine 34-MBit/s-Leitung kamen die Daten zu Nacamar/World Online. Dort übernahm ein weiterer Splitter die Verteilung innerhalb der Nacamar-Backbones auf zwei Rechenzentren. Durch die Positionierung der Streamfarm an der Quelle waren die Betreiber in der Lage, jederzeit zu beeinflussen, welche Streams wohin geroutet werden. World Online als Sponsor der ersten Staffel erhielt zwei exklusive 'Bonus'-Streams, ausschließlich ins eigene Netz eingespeist und nur für Call-by-Call-Kunden von World Online zugänglich.

Die Splitterfarm dient somit zwei Zwecken: Erstens sorgt sie für Redundanz, zweitens dafür, dass alle Streams auf allen Servern anliegen, denn der Encoder kann den von ihm erzeugten Stream nur an einen Server weiterleiten.

700 000 Streams pro Tag

Diese Archtektur ermöglicht es, bis zu 700 000 Abrufe pro Tag ohne Engpässe zu realisieren. In den 100 Tagen der ersten Staffel wurden über diese verteilte Struktur, so Eichler, insgesamt 27 908 645 Streams ausgeliefert. Was auf den ersten Blick beeindruckend klingt, verdeutlicht bei näherem Hinsehen einen Nachteil von Realvideo etwa in Gegensatz zu MBone: ein Multicasting, also das Aufteilen des Datenstroms erst bei der letztmöglichen Verteilstelle, ist noch nicht möglich.

Laut AME hielt sich der Aufwand für den Benutzersupport in Grenzen, Probleme waren in Regel auf falsche Konfiguration beim Anwender zurückzuführen. Eine spezielle Hotline gab es nicht, sondern eine ständig aktualisierte Online-FAQ. Anrufe beantworteten direkt technisch versierte Mitarbeiter der jeweiligen Komponentenlieferanten.

Rob Glase, Chef von Real Networks, bestätigte auf der Real-Developer-Konferenz 2000, dass es sich um den drittgrößten Streaming-Event weltweit handelte (größer waren nur der NetAid-Webcast und die Clinton-Aussage zum Thema Praktikantin).

Ein weiterer Mechanismus, Engpässe zu vermeiden, ist ein mehrstufiges Load-Balancing. Zum einen kontaktiert der Anwender zunächst einen globalen Load-Balancer, der ermittelt, ob es sich um einen Nutzer von T-Online handelt oder nicht. Daraufhin geht die Anfrage auf einen ISP-spezifischen Load-Balancer, der wiederum via BGP (Border Gateway Protocol) ermittelt, welches Rechenzentrum der Benutzer auf dem kürzesten Weg beziehungsweise mit minimalster Netzbelastung erreichen kann. Der lokale Load-Balancer im jeweiligen Rechenzentrum des Projektes entscheidet, welcher Stream die geringste Last hat, um den Stream schließlich auszuliefern.

Die Lastverteilung ist so zum einen durch die AME konzipierte Architektur vorgegeben, zum anderen geht die Installation vor Ort, im Wesentlichen das Load-Balancing des jeweiligen ISP, in die Entscheidung ein.


360°- Rundumsicht mit 400 kBit/s

In der zweiten Staffel wurde das Angebot auf neun Kameras herunterfahren. Dafür standen die Streams nun auch mit 300 kBits/s bereit, zusätzlich standen zwei 360°-Kameras mit 400-kBit/s-Streams zur Auswahl, die jeweils eine spezielle Signalaufbereitung erforderten. Diese Technik realisierte AME und die beteiligten Projektpartner erstmals in einem europäischen Streaming -Event. Eines der Motive für den Einsatz der 360°-Systems war - neben der neuartigen Visualisierung für den Zuschauer - der Auftritt von T-Online als Sponsor der zweiten Staffel, die den hohen Datentransferbedarf speziell der 360°-Kamera als Marketinginstrument für den T-DSL-Anschluss nutzen wollte.

Aus der Funktionsweise der Kameras erklärte sich der hohe Durchsatz des 360°-Systems. Zum Einsatz kommen hier keine normalen Videokameras, sondern spezielle Geräte (DVC), die eine etwa doppelt so hohe Auflösung liefern wie eine Betacam-Kamera für den professionellen Einsatz. Die Kameras sind nicht mit einem normalen Objektiv bestückt, die bildgebende Optik besteht vielmehr zusätzlich aus einer speziellen Vorsatzobjektiv mit einem gewölbten Spiegel, die in der Bildebene, also auf dem CCD, eine ringförmige Abbildung erzeugt. Ähnlich wie bei einem Fischaugenobjektiv enthält diese Abbildung eine 360°-Rundumansicht der Umgebung, jedoch in stark verzerrter Form.

Die anschließende Bildsignalverarbeitung ist zweistufig: Zunächst erfasst der Bildsensor der Kamera das Bild hochauflösend und eine spezielle Framegrabber-Hardware digitalisiert es.Anschließend erfolgt vor der eigentlichen Encoderstufe eine geometrische Entzerrung der ringförmigen Rundumsicht. Dadurch entsteht ein 360°-Panorama mit unverzerrter Abbildung, aus dem man den gewünschten Blickwinkel stufenlos auswählen kann.

So erklärt sich auch die Notwendigkeit der hohen Auflösung bei der Bilderfassung: Es gibt erstens einen Auflösungsverlust bei der geometrischen Entzerrung des Panoramas, und zweitens wird später nur etwa ein viertel der erfassten Information - nämlich der gewählte Ausschnitt - tatsächlich auf dem Bildschirm des Zuschauers angezeigt. Der erwartet jedoch eine Bildqualität, die derjenigen der 'normalen' Streams entspricht. Eine solche Rundumsicht könnte man theoretisch auch mit einer konventionellen, motorisch gesteuerten Kamera erreichen. Dabei bliebe aber das Problem, welcher Benutzer jeweils die Kamerasteuerung übernehmen darf. Dass dies angesichts der großen Anzahl gleichzeitiger aktiver Benutzer nicht praktikabel ist, steht außer Frage.

Die Lösung besteht daher darin, jedem Nutzer zunächst die komplette 360°-Rundumsicht zur Verfügung zustellen und die Wahl des Bildausschnittes erst in der Software vorzunehmen, die den Stream wiedergibt. Da der RealPlayer dies von Haus aus nicht kann, wurde in Zusammenarbeit mit Real Networks ein kleines Plug-in (Be here iVideo, 81,3 kByte groß, siehe www.behere.com) entwickelt. Das bietet ein Fenster mit dem Live-Videobild, in dem der Benutzer mit der Maus oder über die Tastatur navigieren kann (Schwenken links/rechts, Zoom In/Out), und in dem natürlich auch das unvermeidliche Werbebanner Platz findet (siehe Bild).

Da die komplette Bildinformation der 360°-rundumsicht übertragen wird, ist es dem Benutzer möglich, am heimischen PC Bildwinkel und Blickrichtung unabhängig von anderen selbst zu bestimmen. Der Nachteil - beziehungsweise Vorteil aus Sicht des Sponsors T-Online - besteht in dem großem Datenvolumen dieser Technik. Da der Real Server nicht "weiß", welchen Bildschnitt der Benutzer wählen wird, geht ein Mehrfaches der Informationsmenge eines vergleichbaren Videostreams ohne Steuerungsmöglichkeit über die Leitungen. Für die konkrete Anwendung im kommerziell angelegten Big-Brother-Format ist dies genau die Killerapplikation, die einen T-DSL-Anschluss für den Anwender besonders interessant macht.


Dritte Staffel mit weniger Streams

Die gegenwärtig laufende dritte Staffel verwendet wesentlich weniger Streams und stellt dementsprechend geringere Anforderungen an die Lastverteilung beziehungsweise die Leitungskapazität auf dem Weg zum Benutzer. Die beiden 360°-Kameras sind geblieben, liefern mittlerweile auch jeweils einen langsameren Stream, der mit einem normalen ISDN-Anschluss nutzbar ist, natürlich bei entsprechend reduzierter Bildqualität.

Daneben gibt es einen sogenannten Master-Cut, der demnächst durch einen zweiten ergänzt werden wird. Das geringere Angebot an Streams entlastet auch die Verteilerstruktur. Die zweigeteilte Architektur (T-Online/Nicht-T-Online) gibt es in der zuvor beschriebenen Form nicht mehr. Vielmehr ist TiscaliNet der alleinige Kooperationspartner für die dritte Staffel . Allerdings ist so der Peering-Engpass zwischen TiscaliNet und T-Online nicht zu vermeiden. Durch die reduzierte Anzahl von Kameras ergibt sich zwar eine gewisse Entlastung, es werden aber pro Tag immer noch rund 100 Gigabyte Streaming-Daten abgerufen. Seit Ende März sind die Directors Cuts übrigens nur noch mit dem kostenpflichtigen Real Player 8 plus zu erreichen - das dürfte das Datenvolumen drastisch reduzieren.

Dies alles wäre kaum von Belang, wenn es nur darum ginge, eher durchschnittliche Leute bei ihrem Privatleben übers Internet beobachten zu können. Das kann man kostenlos zu Hause haben. Ein Internet-Streaming dieser Größenordnung weist aber den Weg zu einer möglichen Infrastruktur für Fernsehen via Internet, ähnlich den bereits existierenden Webradiosendern.

Großversuch für Internet-Fernsehen

Eine der Erfahrungen mit dem Internetauftritt von Big Brother, speziell in der ersten Staffel, war laut AME, dass es bei einem Streaming-Projekt dieser Größenordnung nicht ausreicht, mit einem einzigen Carrier zu arbeiten. Zudem ist ein finanzieller Aufwand im deutlich siebenstelligen Bereich nötig, um die notwendige Infrastruktur bereitzustellen. Zu diesem projektgebundenen Investitionsaufwand kommt die Belastung der Netze, die nicht unmittelbar in benennbare Kosten umsetzbar ist, aber auf Seiten der Provider die - ebenfalls nicht kostenlose - Bereitstellung von Kapazitäten erfordert. Die in diesem Beitrag beschriebene verteilte Infrastruktur hatte ja bereits das Ziel, die Nutzdaten (neuhochdeutsch: den Content) auf möglichst direktem Wege, mit geringer Netzbelastung und unter Ausnutzung von Load-Balancing-Verfahren zum Anwender zu transportieren.

Kam das Big Brother- Streaming-Projekt noch mit vergleichsweiser geringen Datenmengen aus, müssen für zukünftige Projekte mit Übertragungen von 300 bis 400kBits/s (Near-VHS-Qualität) andere Strukturen gefunden werden. Ein erster Ansatz bei der AME sieht so aus: Es gibt ein zentrales Data-Center für das Content-Delivery, und man schafft Direktverbindungen zu den Edge-Points, also den POPs von anderen Providern, und baut dort weitere Caches auf.

Direktverbindungen bedeutet in diesem Zusammenhang: nicht über das Internet, sondern beispielsweise über dedizierte Satellitenstrecken. Das " Netz der Netze" dient nur noch dem Überbrücken der letzten Meile zwischen POP und Endkunden, dem sich das Ganze aber nach wie vor als normales Internetangebot darstellt.

Unabhängig davon, wie nah am Konsumenten man den Content-Cache plaziert, basiert dieses Konzept im Wesentlichen darauf, das Internet nur für diejenigen Übertragungsstrecken zu nutzen, für die es sich nicht vermeiden lässt. Der restliche Datentransfer findet über mehr oder weniger dedizierte Kanäle statt (siehe dazu auch [1]).
(JS)


Dieter Michel
arbeitet als freier DV-Journalist und ist Chefredakteur der Fachzeitschrift Prosound


Literatur
[1] Jens-S. Vöckler, Bert Ungerer; Internet; Content Delivery Networks; Abgabedruck; iX 4/01; S.98


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